OOH-Magazin Ausgabe 2 - 2018

Wo Säulen wackeln, müssen sich neue Strukturen und Netze der Zusammenarbeit formen. Anfängliche Skepsis oder stellenweise Lethargie weicht einer Bewegung, die die Kommunikationsbranche inWallung versetzt. Ein Spagat muss gelingen zwischen dem Zunutze machen von Algorithmen im Arbeitsprozess und der Verteidigung der Kreativität als Unique Selling Point von Agenturen. Erste Stimmen werden auch abseits der KI-Forschung laut, die den Algorithmen die Fähigkeit zum Erlernen von Kreativmethoden und damit das Poten- zial zu ernstzunehmender Konkurrenz zusprechen. Ein Ruck geht durch die Agenturlandschaft Hartwig Keuntje, Geschäftsführer Kreation bei Philipp und Keuntje, beobachtet die aktuellen Entwicklungen genau: „Noch ist das Thema artifizielle Kreativität mehr Hype als praktische Anwendung, aber die Ein- schläge kommen spürbar näher. In Kürze wird man einfache, serielle Texte wie zum Beispiel technische Produkterklärungen automatisiert schreiben lassen. Und es geht weiter: Die Software ,The Grid‘ verspricht das vollautomatische Designen gan- zer Websites. Ironie des Schicksals: Offenbar fangen die Programmierer an, ihre eigenen Jobs überflüssig zu machen.“ Insbesondere Unternehmensbera- tungen sind sehr gut darin, rational den Bedarf von Kunden zu analysie- ren. Nun adaptieren sie diese Vorgehensweise auf die Kreativität. Zugute kommt ihnen dabei eine gewisse „Diversity of Thoughts“ und damit die Durchmischung von Talenten aus den unterschiedlichsten Bereichen der Problemlösung. Neue Persönlichkeitsmerkmale werden wichtig. So kann genau das „In-The-Box“-Denken und das Ernst- nehmen der Kollegen aus den vermeintlich unkreativen Disziplinen zu unschätzbarem Wert bei der Nutzung von Dateninformationen und ihrer kreativen Anwendung sein. Für Ego-Probleme ist in der neuen rationalen, regelbasierten und prag- matisch-introvertierten Kreativwertschöp- fungskette wenig Verständnis. Der datengetriebene Pioniergeist der Unternehmensberatungen spiegelt sich noch nicht repräsentativ in der Kam- pagnenrealität wider. Doch auch die Agenturen wissen sehr wohl, dass Kunden ihre Dienstleistung nicht allein aufgrund einer Kreatividee honorieren, sondern zunehmend aufgrund einer gut recherchierten und exerzierten Kreativlösung. KI kann Prozesse zur Problemlösung beschleunigen Bettina Olf, Chief Creative Officer bei Geometry, definiert demnach Kreation nicht mehr als isolierten Moment, sondern bevorzugt die Betrachtung von kreativen Prozessen: „Es geht um die Lösung eines Problems mit ungewöhnlichen, vorher nicht gedachten Mitteln (Ori- ginalität). Idealerweise entstehen mehrere Möglichkeiten der Problemlösung, die vorher nicht denkbar waren.“ Eben diese Prozesse können durch KI beschleunigt oder bereichert werden. Vorstellbar ist bereits vieles, so Mat- thias Storath, Geschäftsführer Krea- tion von Heimat: „Wenn das System komplex genug ist, gleichzeitig eine hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit sicherstellt und darüber hinaus noch dem Zufall Raum gibt, ist die kreative Ideenfindung systematisierbar. Im Moment gibt es das noch nicht.“ Viele Variablen demnach, und wie es scheint, liegt die Kreativhoheit in den nächsten Jahren immer noch bei den Agenturen. Diese rüsten ihre Bandbreite gehörig auf. Der Vorteil künstlicher Assisten- ten zur Gewinnung von datengetrie- benen Insights ist unumstritten, die effiziente Adaption von Content und Designs mehr als willkommen. KI dient als Inspirationsquelle, als Contentumwandler, als Enabler der individualisierten Ansprache und als programma- tischer Assistent. Viele herausra- gende Kampagnen und Kreativumset- zungen der jüngs- ten Vergangenheit machen sich die Vorteile der Künstlichen Intel- ligenz zu Nutze. Die Analyse einer großen Menge komplexer Daten bei der Gewinnung relevanter Insights befähigt Kreativabteilungen und Agenturen jeglicher Couleur zu schnellen und begründbaren Umsetzungen. Data-Driven-Insights sind auf demWeg zur Agenturnorm Big Data als Insight-Lieferant ist gelernt. „Wir haben schon vor Jahren für mobile.de sämtliche Fahrzeugsuchanfragen eines Jahres ausgewertet, um das sogenannte Deutsch- landauto zu erschaffen und nannten das Vorgehen Big Data Storydoing“, erinnert sich Mirko Kamin- ski, CEO und Gründer der Agentur Achtung!, und stellt wehmütig fest: „Wir waren damals noch nicht so schlau, es bei internationalen Awards einzureichen.“ Immer mehr Kampagnendokumentationen werden heute so eröffnet: „Durch den Ein- satz von Tool X und Analyse der Daten Hartwig Keuntje: Die Einschläge kommen näher. Matthias Storath: Ideen­ findung ist systematisierbar. 16 OOH!–Fokus

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