OOH-Magazin Ausgabe 2 - 2022

Erste Wort-Bild-Marken mit den Berliner Sachplakaten Die besondere Beziehung zwischen Plakaten und ihrer Wahrnehmung im öffentlichen Raum ist ein weiterer thematischer Schwerpunkt der Ausstellung. Wie haben Sie diese Beziehung museal sichtbar, für den Betrachter nachvollziehbar gemacht? GROHNERT: Wir haben in fast jedem Raum eine Installation und etwas, das für die zeitliche Einordnung steht. Es gibt zum Beispiel einen kleinen Film von 1896 mit zwei Wildplakatierern, die sich prügeln, weil der eine gerade das Plakat des anderen überklebt hat. Auf Monitoren laufen Dutzende von Stichen, Illustrationen, Karikaturen oder auch von Fotografien, die das Plakat in der jeweiligen Zeit im Einsatz zeigen. Wir haben auch großformatige Bildtapeten an den Wänden, die Eindrücke vermitteln, wie es beispielsweise um 1900 in Paris aussah. Im nächsten Raum erleben wir Berlin bei Nacht in den 20er Jahren, mit der ganzen Neonreklame, die damals gerade so richtig in Schwung kam. Und wir sehen in der Nachkriegszeit den Times Square aus den 40er Jahren als großes Werbevorbild mit riesigen Flächen. Wir haben also immer versucht ein Zeitkolorit mit hineinzubringen. Wie reagieren die Besucher? GROHNERT: Gerade an den Monitoren bleiben die Leute sehr gerne stehen, weil sie dort anschauen können, wie die Plakate gehangen haben. Das einzelne Plakat ist nicht unbedingt zu erkennen, aber man sieht, dass eine ganze Häuserfront bis in acht oder zehn Metern Höhe plakatiert wird, und man sieht, mit welchen Werkzeugen dafür gearbeitet wurde, damit der eine über dem anderen kleben kann. Ein besonderes Highlight ist eine Fotosammlung des bekannten Grafikers Günther Kieser. Er hat mir mal ein paar 1.000 Dias von einer Weltreise geschenkt, auf der er Plakate im öffentlichen Raum fotografiert hat. Unglaublich! Die habe ich digitalisieren lassen, und nun sind sie Teil der Ausstellung – 20 Minuten lang laufen Bilder von Plakaten aus der ganzen Welt. Es ist schon erstaunlich, in welcher Menge sie teilweise kleben, und auch, an welchen Orten. Nachdem Sie sich derart intensiv mit der Entwicklung von Plakat bzw. OOH beschäftigt haben – welche Phase bewerten Sie als besonders bedeutsam? GROHNERT: Ganz wichtig ist der Sprung, den das Plakat hin zu einem eigenen Medium gemacht hat. Bis 1908 war es angebunden an die Entwicklung der bildenden Kunst. Dann kam Ernst Growald, ein sehr cleverer Agent der Berliner Kunstdruckerei Hollerbaum & Schmidt. Er hat junge Leute um sich geschart und mit ihnen quasi Gestaltungsregeln für das Plakat entwickelt – welche Plakate sollten für welche Produkte werben, wo sollten sie hängen, was braucht ein Plakat in einer Großstadt, was braucht es nicht. Das Ergebnis war dann das Berliner Sachplakat von Lucian Bernhard. Hier entstanden Wort-Bild-Marken, die erste markante war Stiller Schuh. Das führte zum ersten Mal zu einer eigenen Bildsprache des Plakats. Heute wissen wir, dass unser Gehirn solche Wort-Bild-Marken am besten aufnehmen kann, sehr schnell, sehr nachhaltig. Ab dem Berliner Sachplakat haben wir den Nachweis, dass es auch ohne bildende Kunst geht und dass man völlig neue Ideen braucht, die sich auf die nun wesentliche Aufgabe von Plakaten konzentrieren: Produkte zu verkaufen. Das alles hat eine extreme Dynamik entwickelt, auch in der Stilistik und dann natürlich in der Vermarktung. Auf einmal bekam die ganze Sache Struktur. Das Ziel waren nicht mehr irgendwelche bunten Bilder, sondern eine Kampagne, auch wenn sie noch nicht so hieß. Man hat sich Gedanken gemacht über verschiedene Formate, verschiedene Einsatzmöglichkeiten, über wissenschaftliche Methoden um die Gestaltung und damit die Wirkung zu optimieren. Bis 1914 wurden die Grundlagen für die Professionalisierung der Werbung in den 20er Jahren gelegt. 19 OOH!–Fokus

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