OOH-Magazin Ausgabe 1 - 2023

Zu Hause werde ich keine Informationen erhalten, weil meine Medien ausgefallen sind. Aber ich kann mich auf die Straße begeben, mit den Nachbarn sprechen oder ich bewege mich in der Stadt über öffentliche Plätze. Vielleicht habe ich vor zum Rathaus zu gehen. Auf jeden Fall werde ich an einer Litfaßsäule vorbeikommen, das haben wir alles analysiert – die Abdeckung des öffentlichen Raums und die Dichte der Standorte. Anzahl und Verteilung der Säulen sind nahezu ideal. Weil sie wirklich überall sind? SCHULZE: Die Säule ist im Quartier, wo die Menschen sind. Das ist übrigens auch noch ein Punkt. Der Verkehr wird beim Stromausfall nach einer gewissen Zeit zum Erliegen kommen, weil die Tankstellen nicht mehr funktionieren. Die Menschen werden sich nach Hause begeben, das Auto wahrscheinlich abstellen. Die Litfaßsäule ist auch hier auf einem Platz um die Ecke, und man kann sich um sie herum versammeln, verteilen. Wie sieht es neben dem Standortvorteil mit der Eignung der Säulen aus, wenn es um den Strom für die Kommunikation geht – wo soll der herkommen? SCHULZE: Die Säule hat oben eine kleine Dachfläche, das sind ungefähr zwei Quadratmeter, auf der sich eine Photovoltaik integrieren ließe. Dann hat sie einen Hohlraum, denn sie besteht aus gestapelten Betonringen. Drinnen sind ungefähr fünf Kubikmeter Platz. Da kann man wunderbar einen großen Batterie-Speicher unterbringen. Dort ist dieser quasi unsichtbar und auch gegen Vandalismus oder Diebstahl geschützt. Also, bei der Energieversorgung der Säule muss gar nicht mehr so viel optimiert werden. Wie müsste nun eine „Litfaßsäule 4.0“ aussehen, die Informationen bei Stromausfall verbreitet? Sie braucht ein digitales Display. Dafür könnte man den oberen Kranz abnehmen und durch einen neuen ersetzen, in den ein umlaufendes Display integriert ist. Die Höhe ist dabei ein weiterer Vorteil, denn so ist es von weithin sichtbar und nicht so leicht zu erreichen, also relativ sicher vor Beschädigungen. Die technischen Details sind noch zu klären. Meine ersten Überlegungen gehen in Richtung der DFI LED-Displays, die man für Fahrgastinformationen im ÖPNV nutzt. Die Säule bleibt auf jeden Fall in ihrem bekannten Aussehen erhalten und erhält quasi ein Update. Welche Informationen wird man dort im Krisenfall finden? SCHULZE: Es geht vor allem darum, dass die Menschen wissen, was passiert ist, dass sich jemand darum kümmert, und dass sie zudem das Gefühl haben immer informiert zu sein. Was die Informationen betrifft, sind einfach verständliche, kurze Texte gefragt, die auch in verschiedenen Sprachen übermittelt werden (Stichwort: Inklusion). Man kann das auch mit Piktogrammen kombinieren. Auf welchem Weg kommt der Text auf das Display? SCHULZE: Hier beraten uns die Kollegen aus der Informationstechnologie. Es gibt zum Beispiel LoRa, eine Funktechnologie mit geringem Energiebedarf, die über größere Distanzen kommunizieren kann. Erfindung eines „Säulenheiligen“ Ernst Theodor Amandus Litfaß, 1816 geboren, war einer der einflussreichsten Entrepreneurs Berlins. 1845 übernahm er den väterlichen Druckereibetrieb und begann, ihn als Reklameunternehmen auszubauen. Die Suche nach neuen Ideen und Vorbildern für Druck und Verlag führte ihn auf ausgedehnte Reisen durch ganz Europa, bei denen er auch Bekanntschaft mit den Vorläufern seiner Litfaßsäule machte. In London gab es bereits seit 1824 achteckige, auf einem Wagen befestigte Säulen, in Paris kannte man um 1842 schon gemauerte Plakatsäulen. Diese Eindrücke verbanden sich bei Litfaßmit den immer lauter werdenden Beschwerden in seiner Heimatstadt über die wahllose „Verkleisterung“ öffentlicher Gebäude und Einrichtungen, von Bäumen, Mauern und Zäunen mit Anschlagzetteln aller Art. Als Litfaß schließlich die Idee entwickelte, dieses Durcheinander durch das Aufstellen so genannter Annonciersäulen in geordnete Bahnen zu lenken, fand er im Berliner Polizeipräsidenten Karl Ludwig von Hinckeldey einen begeisterten Förderer. 1854 erhielt Ernst Litfaß die Konzession zur „Errichtung einer Anzahl von Anschlagsäulen auf fiskalischem Straßenterrain zwecks unentgeltlicher Aufnahme der Plakate öffentlicher Behörden und gewerbsmäßiger Veröffentlichungen von Privatanzeigen“, wie es offiziell hieß. Am 1. Juli 1855, einemSonntag, wurde die erste Säule eingeweiht. Innerhalb kurzer Zeit lernte die Bevölkerung, dass sie hier, an zentralen Standorten in der Stadt, schnell und zuverlässig Informationen fand. Die Säulen wurden zu festen Anlaufstellen, die Mischung von öffentlichen Informationen mit Werbung sicherte die Finanzierung – ein Konzept, das bis heute das Mediengeschäft prägt. Die Säule ist imQuartier, wo die Menschen sind. 18 OOH!–Fokus

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