OOH-Magazin Ausgabe 2 - 2016

Nicht, dass die Plakat-Kunst erst mit Henri de Toulouse-Lautrec (1864–1901) begann, aber er ist zumindest allen Grafikstudenten mit seinen post-impressionistischen Plakaten für das Moulin Rouge in Paris bekannt. Weniger bekannt dürfte sein, wie sehr er von japani- schen Holzschnitten inspiriert war und deshalb in seinen Werken in damals ungewohnten, einfachen Linien und ungewohnten Perspek- tiven malte. Eben plakativ. In Deutschland, aber auch in Österreich lag damals der Schwerpunkt der Plakatkunst vor- wiegend auf Ausstellungsplakaten, bevor später der Expressionismus mit Egon Schiele und Oskar Kokoschka Eingang in die Plakatkunst fand. Unbedingt zu erwähnen ist das Kokoschka-Plakat für die expressionistische Zeitschrift „Der Sturm“, auf dem er sich nackt und mit kahlem Schädel inszenierte. Ein Skandal. Damals lag in Deutschland der Fokus schon stark auf Produktplakaten, wodurch die Zweckmäßigkeit den künstlerischen Anspruch weitgehend ablöste. Die österreichische Plakatkunst der 1920er Jahre zeigt vor allem im Bereich des Werbepla- kats und in den politischen Plakaten moderne Gestaltungstendenzen an, die eine neue Ent- wicklung in der Plakatkunst einleiten. Beein- flusst von verschiedenen Stilrichtungen, wird das Medium Plakat zu einem wichtigen Faktor in den Bereichen Werbung und Politik. Bis in die 1960er Jahre waren es die meist gezeichne- ten Sujets mit plakativen Slogans. Die österrei- chischen Grafiker wie Victor Slama und August Schmidt gehörten damals zu den besten. Als in Amerika Howard Gossage und Bill Bernbach die Werbung neu erfanden, Wer- bung, die ihre Zielgruppen mit Intelligenz zu überraschen verstand, war in unseren Breiten noch Wüste. Schweizer Plakatgrafiken waren die Ausnahme. Provokationen des analogen Plakats schaffen millionenfache Reichweite im Digitalen Erst in den 1980er Jahren hat sich das Plakat als Skandal im öffentlichen Raum neu erfun- den. Aus österreichischer Sicht zum Beispiel die Plakate für Palmers. Das „Palmers Haus“ – die damalige Firmenzentrale des Unterwäsche- Herstellers in Wien – wurde jedes Mal, wenn neue Plakate affichiert waren, mit Farbe beschmiert. Christian Satek Art und Elfie Semotan Fotografie, die Line: „Trau. Dich. Doch.“ war von wem? Vielleicht von Gert Winkler? Natürlich gab es noch mehr, über das man sich aufregen oder schockiert sein konnte, wenn man nur wollte: die sehr politischen Benetton-Kampagnen der 1990er von Oliviero Toscani, bei denen der an AIDS sterbende David Kirby die Leute weniger aufgeregt hat als ein Neuge- borenes mit Nabelschnur. Jedenfalls erzielten ihre Sujets unglaubliche Awareness in der vor- digitalen Zeit. Wer aber glaubt, dass das Plakat keinen Platz mehr im digitalen Zeitalter hat, ist im Irrtum. Das Gegenteil ist der Fall. Ich meine damit nicht die digitalisierten Citylights und andere interessante Touch-Points, die heute auf Schritt und Tritt auf sich aufmerksam machen wollen. Ich meine die digitale Reich- weite des analogen Plakats. Wir können davon ausgehen, dass interessante, provokante, auffällige Plakate über ein schnelles Handy-Foto schnell ihren Weg in die sozialen Medien finden und sich dort freiwillig und ohne Kosten verbreiten. Die Provokation könnte daher heute besser denn je funktionieren, denn ganz ohne ungesunde Spraydosen und Res- sourcen schonend über unsere Handys kann sich die öffentliche Provokation sogar millio- nenfach verbreiten. Direkt vom analogen Plakat und ohne Extra-Kosten. Facebook, Twitter, Instagram und Snapchat sei Dank. Jetzt sind die Gestalter gefordert! I think I like it. Der öffentliche Skandal lebt bestens Johannes Newrkla, Managing Partner der Werbeagentur Merlicek & Grossebner, Wien, ist Mitbegründer und langjähriger Präsident des Art Directors Club of Europe. 18 OOH!–Aspekte

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